Das Tagebuch einer Mutti Teil 1 – am frühen Morgen

Gesellschaftliche Armut hat viele Gesichter

Liebes Tagebuch,

an einem schönen Samstag im August hat Mutti in Oldendorf-Himmelpforten beim
Edeka-Tiedemann gefrühstückt, dem zentralen Einkaufsort dieses Städtchens.

In diesem großen Einkaufslädchen gibt es die Möglichkeit, für die hiesige Bevölkerung ihr hart verdientes Gehalt in Backwaren umzutauschen.

Unter uns gesagt, schmeckt ein frisch belegtes Käsebrötchen, an einer
der schönen Sitzplätze draußen bei einem sommerlichen Lüftchen, ausgezeichnet.

Mit jedem Bissen schmeckst du Frische, oder wie sagt der folgende Slogan der Bäckerei Daetz:
Born to Bake!

Noch ein Schluck von seinem Milchkaffee genommen – da taucht plötzlich jemand auf, mit schicker schwarzer Anzugshose, geleckten Schuhen und einem anfänglichem Lächeln.

Mit einer Einkaufstüte und Rucksack stellte sich dieser ältere Herr direkt in die Nähe des Haupteingangs an einem Blumenkübel.

Sein Rucksack öffnete sich langsam, es schaute eine Zeitung heraus.

Mutti wurde dadurch neugierig

Mir kam sein Gesicht bekannt vor…
Ein paar Wochen vorher sah Mutti diesen Herren schon einmal, als ihn jemand ansprach, um ihn zu fragen, ob er etwas essen oder trinken wolle.

Da kam mir die Idee, ihm nach dem verspeisten Brötchen eine Flasche Wasser im Edeka zu kaufen, damit er bei diesem langem Tag etwas trinken kann.

Nichts wie rein und ab zu ihm!

Mit der Flasche Wasser voran, übergab Mutti ihm mit den Worten, dass er bei diesem warmen Wetter etwas trinken solle.

Ein Lächeln trat empor – Mein Gewissen war befriedigt, ABER…

er bedankte sich freundlich, sein lächeln war Genugtuung.
Er hielt seine mitgebrachte Zeitung aus dem Rucksack in der Hand,
sehr zögerlich wurde sie mir seinerseits angeboten.

Hierbei handelt es sich um ein Hamburger Straßenmagazin namens Hinz & Kunz. Kostet 2.20 davon gehen 1.10 an den Verkäufer.

Ich kaufte ihm ein Heftchen ab und drückte ihm im Anschluss gleich noch ein paar Taler mehr in seine Hände.

Anschließend hockte ich mich hin, um ihn direkt in seine Augen zu sehen, da es respektlos wäre ihm von oben herab anzuschauen.

Im eigenen Interesse möchte man gerne wissen, wer sich hinter diesem Mensch verbirgt

Er heißt Eliah, kommt aus Stade und hat Familie.
Er lebt schon lange in Deutschland, spreche schlecht Deutsch und wolle nun endlich diese Sprachbarriere brechen.

Sein Lächeln wuchs ihm bis über beide Ohren. Schön!

Mutti hat in der Vergangenheit bei uns eher sein Portemonnaie geschlossen, da viele rumänische Banden vorgeschickt werden, um ihre Hintermänner zu finanzieren – dies zeugte meinerseits von schlechten Erfahrungen.

Da ich nun seinen Namen wusste, seine Dankbarkeit spürte, dass er Geld sammelt, um über die Runden zu kommen, packte mich nun der Entschluss diesem älteren Herren etwas Gutes zu tun.

Traurige Wahrheit

Die Welt kann eine Mutter nicht retten, doch jeder kann seiner Umwelt nicht nur mit finanziellen Mitteln helfen. Von ein paar lieben Worten können wir nicht leben, doch gegen etwas Essen und Trinken braucht sich niemand zu verschließen.

Viele von uns gehen an ihren Mitmenschen vorbei, da sie eigene Probleme plagen, doch hat dieses aneinander vorbei leben einen gravierenden Haken.

Selten nimmt der Mensch seine Umwelt wahr, da er sich eher zum Einzelkämpfer entwickelt.

Liebes Tagebuch…

Leider bleibt es unser Geheimnis.

Wie sagte eine ältere Dame vor wenigen Tagen:
„Tino, wenn du nicht in den Himmel kommst… dann weiß ich es auch nicht.“
Schauen wir mal

In der Hoffnung das ein Tagebuch nie lange ungelesen bleibt wird es oftmals von denen übersehen,
die sich nur noch um sich bemühen und den anderen kein Gehör schenken. Dabei gibt es oftmals
vielerlei Gründe, die eigenen Probleme überwiegen und jeder Macht seine Probleme mit sich aus.
Alleine, oftmals ohne Hilfe. Wollen wir weiterhin so Leben und oder unseren Mitmenschen wieder ein
Lächeln ins Gesicht zaubern? Das muss jeder für sich Entscheiden.

Comments (2)

Vor ein paar Jahren habe ich einmal eine Stadtführung durch Frankfurt gemacht. Dabei wurden wir von einem ehemaligen Obdachlosen durch seine Stadt geführt. Er erzählte viel von dem Leben auf der Straße, zeigte uns seine alten Schlafplätze usw. Dies hat meine Haltung zu diesen Menschen nachhaltig verändert. Ich habe zwar früher auch schon immer eine Obdachlosenzeitung gekauft. Aber nun bekommt jeder, der mich direkt anspricht, ein Geldstück von mir. Klar, diese osteuropäischen Bettlerbanden sind ein Problem – dass hat uns unser Stadtführer auch bestätigt. Aber irgendwie kennt man die ja schon.
LG
Sabienes

Hallöchen Sabienes, du hast völlig recht, dass sich die Sicht nachhaltig ändert und für mich ist es selbstverständlich, das jemand der die Zeitung entgegenhält und dies natürlich verifiziert darf es gerne tue. Da sich in diesem Dörfchen meist dieser ältere Herr befindet kommen ihm meine Groschen zugute. Das mit den osteuropäischen Bettlerbanden durchschaut man natürlich. Sie waren meist auch der Grund warum man andere Obdachlose – LEIDER mit in diese Schublade steckte. Heute spreche ich mit den Betroffenen und durch die bisher gesammelte Menschenkenntnis erkennt man auch sofort, um was es demjenigen geht.
Eine Flasche Wasser gibt’s nach dem Gespräch gleich obendrauf. Freue mich auf solche Gespräche und Suche sie von mir aus den mich interessiert die Geschichte eines Menschen mit seinen Erfahrungen, die er durch die Jahre gesammelt hat. Sonst wäre dieser tolle Tagebuch-Eintrag nicht entstanden. 🙂

Liebe Grüße
Tino

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